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Die Lukaskirche Karlsruhe

Die Lukaskirche Karlsruhe

Raum und Wirkung – eine persönliche Erfahrung

Der Geburtstag des Karlsruher Architekten Erich Rossmann, Erbauer des Kirchenraums, jährte sich am 19. Juni 2025 zum 100. Mal. Das gibt guten Anlass, innezuhalten und den Wirkungen dieses Raumes auf die Menschen und ihre Befindlichkeit nachzuspüren, die sich in ihm bewegen und ihn beleben.

Was macht diesen Kirchenraum so besonders?

Räume wirken. Auf eine besondere Weise üben sie eine Wirkung auf uns aus. Ganz besonders gilt das für sakrale Räume und religiöse Orte. Manche wirken leise, zart, fast unmerklich, andere unmittelbar und überwältigend, sozusagen laut.

Räume erleben wir in ganzheitlicher Wahrnehmung über unsere fünf Sinne.

Eher wacher als sonst sind sie, wenn wir in eine Kirche eintreten, denn ein sakraler Raum ist für die allermeisten von uns nicht das Alltägliche, sondern ein Besonderes.

Augen, Gehör, Geruchs- und Geschmacksinn wie auch die Sensibilität fürs Ertasten und Berühren erhalten Impulse und Nahrung durch Elemente und Charakteristika eines Raumes.

Im Kirchenraum der Lukaskirche ist sichtbar eine klare Ordnung bei sparsamer, gleichzeitig wertiger Ausstattung. Unser Gehör nimmt die spezielle Akustik wahr, Nase und Mund spüren eine gewisse Kühle, es riecht nach Blumen, auch nach Stein, und die Luft schmeckt kühl, ist meist geruchsarm. Haptisch haben wir einige wenige sensibilisierende Elemente, wie etwa Papier und Bucheinband, eventuell Teelicht und Sand in der Kerzenschale, Stoffpolster auf den kantigen getischlerten Sitzbänken.

Diese Sinneswahrnehmungen kann ich selbst auslösen, das ist mir vertraut, ich kenne mich aus mit diesen Sinneswahrnehmungen wie viele andere auch.

Diesen fünf vertrauten Wahrnehmungskanälen ist ein weiterer hinzuzufügen: die kinästhetische Dimension. Diese Form der achtsamen körperlichen Wahrnehmung ist uns ach-so-vernunftbegabten Menschen weniger vertraut, manchmal kaum bewusst – dabei findet sie immer statt. Entsprechend wird über die körperliche Wahrnehmung wenig kommuniziert; in eher unverfänglichen Worten wird oft nicht mehr beschrieben als eine Art Aufenthaltsqualität mit Bemerkungen wie “Gefällt mir!“, „Ist schön!“ oder: „Fühle mich da einfach wohl!“

Damit berühren wir die Frage nach der Wirkung eines Raumes im Kern:

Wie reagieren wir körperlich mit unserem Sinn für Nähe, Entfernung und Dimensionen?

Wohin geht unser Blick?

Welche Empfindungen erfahren wir in uns und an uns?

Welche Bewegungsrichtung wird ausgelöst?

All dieses – und natürlich noch manches andere – prägt unser Verhalten, unser Beziehungs- und unser Gemeindeleben und nicht zuletzt unsere Beziehung zu Gott, welche Vorstellung von seiner Kraft, seiner Herrlichkeit und seinem Reich wir auch haben mögen.

Warum sind wir in Lukas so, wie wir sind? Woher ist er gekommen, der „Lukas-Geist“?

In der Annäherung an eine Antwort sind drei Sätze entstanden.
Zum ersten:

Die Lukaskirche liegt erhöht; wenige offene Stufen laden ein auf die erhöhten Grundfläche zu treten. Durch ein schweres, mit gegossenen Lettern biblisch beschriftetes Eingangsportal gelangen wir ins Entrée und schließlich in den achteckigen Raum.

In der christlichen Zahlenmystik gilt die Zahl 8 als Zahl der „neuen“ Schöpfung und der Vollendung. Die 6 Tage der Schöpfungsgeschichte mit der Ergänzung durch den siebten, dem Ruhetag, waren gut, sehr gut. Vollkommen. Doch ein
8.Tag, der Tag nach dem Schabat, kam hinzu: der Tag, an dem Jesus Christus aus dem Reich der Toten auferstanden ist.

Für Christen wird die Zahl Acht zum Sinnbild für die Überwindung des Irdischen und für die Verheißung des Neuen, und damit erschließt sich der Grundriss des Oktogons als tief religiöses Symbol. Die Vollkommenheit einer mathematischen Harmonie, welche es auch schon in der Antike gegeben hatte, findet eine Entsprechung in der christlich-spirituellen Botschaft.

Man kann auch sagen:
Das Vollkommene, Allumfassende ist präsent in diesem Raum. Und so erhält der christliche Gott als Dreifaltigkeit in diesem unverstellten, cleanen Raum eine Präsenz, ohne dass er explizit benannt oder angesprochen wird – abgesehen vom Kernsymbol einer christlichen Kirche, dem Kruzifix; hier schwebt er, der Christus, in charakteristischer Interpretation, in offener Armhaltung, umarmend, einladend, segnend.

All das wirkt.

Satz 1: Die Architektur steht in Wechselwirkung, korrespondiert mit einer spirituellen Botschaft, kleidet sie ein.

Zum zweiten:

Mehr sehen zu können führt zu besserem Verstehen – und damit begeben wir uns auf die Suche nach dem zweiten Satz: Was macht der Raum mit mir und in mir?

Im Wahrnehmen, im Schweigen gehe ich in Resonanz mit dem, was mich umgibt. Ich merke, ich muss nichts.

Ich fühle mich sicher umfangen,
und gleichzeitig frei – und ich kann die Tür, die nach innen geht, öffnen.
Etwas im Körper löst sich; ich bin belebt.

Satz 2: Der Raum ist klar und unverstellt; in der Reduktion komme ich in Kontakt mit meinem Selbst.

Einigen unter uns bedeuten die theologischen Schriften und Glaubensimpulse von Dorothee Sölle sehr viel; sicher kennen auch viele ihre Geschichten von zahlreichen Familienreisen, jeweils verknüpft mit unerlässlichen Besuchen von Kirchen am Wege. Eine ihrer Enkeltöchter brachte auf den Punkt, was sie gerade bei einem solchen Kirchenbesuch erlebt hatte: „Ist kein Gott drin!“, sagte das kleine Mädchen.

Satz 3: Architektur und Symbolik in ausgewogener aesthetischer Balance öffnen den Horizont in die Transzendenz, zeitgemäß, in aller Freiheit.

Ob hier, in der Lukaskirche, Gott drin ist?

Was wäre, wenn wir Augenblicke des Innehaltens in Stille und Einkehr in Bewegung verbringen und ihm entgegen gehen – oder ihn erwarten?

Also uns mit weitem Herzen der Wirkung und der Erfahrungswelt dieses Raumes neu öffnen und uns auf gewisse Spuren des Göttlichen, Vollkommenen ohne Vorbedingung einlassen?

Ich werde es immer wieder tun und freue mich, wenn ich dabei nicht allein bleibe.

18. Juni 2025

Anke Ulmer über die Lukaskirche Karlsruhe

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